Navigation auf uzh.ch

Suche

Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

Wegen-Ausgabenrechner-und-Bezahl-Apps--Droht-die-Geiz-Kultur?

Publiziert: 05.02.2023 um 16:30 Uhr
Aktualisiert: 06.02.2023 um 12:41 Uhr

Camille Kündig, Redaktorin SonntagsBlick

Wegen Ausgabenrechner und Bezahl-Apps
Droht die Geiz-Kultur?
Neue Apps helfen, Kosten fair aufzuteilen – bis wir uns plötzlich zwei Franken überweisen. Zu Rappenzählern werden wir dennoch nicht, sagen Experten.
 

Ein Neujahrsessen unter Freunden. SonntagsBlick-Leserin Lea Schneiders (25) langjährige Kollegin schnappt sich die Quittung, zückt ihr Smartphone und tippt die Beträge fein säuberlich in die Splitwise-App ein. «Als sie darüber sinnierte, wer mehr von der Guacamole hatte, und ich schliesslich zwei Franken twinten sollte, wusste ich, dass dies das Ende unserer Freundschaft war», berichtet Schneider.

Aber was war da los? Ausgabenrechner wie Tricount oder Splitwise helfen seit einigen Jahren, nach der Party Kassensturz zu machen – mit der Bezahl-App Twint können die Schulden dann gleich auf den Rappen genau beglichen werden.

Die Tools vereinfachen auch den WG-Alltag, Paare nutzen sie für faire Aufteilung der Finanzen, Schnorrer und Trittbrettfahrer kommen nicht mehr so leicht ungeschoren davon. Und die Programme bieten einen weiteren Vorteil: Sie ersetzen unangenehme Gespräche über Geldangelegenheiten durch digitale Diskretion.

Geizhälse werde entlarvt

«Die Apps sind die perfekte Lösung für den Ausgang und die Ferien mit den Freunden, ohne ständig Kassenzettel aufbewahren zu müssen, und dennoch die Kosten solidarisch zu teilen», sagt SonntagsBlick-Leserin Nicci Hunziker (37). Der Umgang mit dieser Lösung hat aber mitunter Schattenseiten. Jüngst berichtete das Internetportal Nau über eine Zürcherin, die Twint dazu nutzt, um ihren Ex-Partner zu bedrängen: Sie überweist jeweils fünf Rappen an ihn – versehen mit einem ellenlangen Text.

Wahrscheinlicher sind Enttäuschungen anderer Art. Roberto Pevcnidk (52) aus Zürich macht die neuen Tools dafür verantwortlich, dass das Zwischenmenschliche zu kurz komme: «Früher vereinbarte man stets ein neues Treffen, um sich für eine Einladung zu revanchieren. Das ist nun vorbei.» Und Lea Schneider meint nach ihrer Neujahrs-Erfahrung: «Ausgabenrechner bringen Geizhälse zum Vorschein.»

Nach Auffassung der Soziologin Katja Rost kann die übereifrige Nutzung solcher Tools tatsächlich Einfluss auf unsere Beziehungen haben: «Es ist schwieriger, Vertrauen zu bilden, wenn stets alles kalkuliert und dem anderen kein Handlungsspielraum gelassen wird.»

Blumengiessen wird noch nicht abgerechnet

Andererseits könnten Ausgabenrechner durchaus eine emanzipierte Partnerschaft erleichtern – und verhindern, dass sich jemand in Partner- oder Freundschaften ausgenutzt fühlt.

Doch droht angesichts von so viel buchhalterischer Genauigkeit nicht eine Geizkultur?

Fintech-Experte Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern hat in seiner Studie zu Mobile Payment Twint-Daten untersucht – und gibt Entwarnung: «Eine durchschnittliche Überweisung bewegt sich zwischen 60 und 70 Franken. Es scheint also, dass wir einander für kleine Beiträge wie einen Drink weiterhin gern einladen.»

Das ist nicht verwunderlich, meint Soziologin Rost: «Wir bewegen uns in einer Welt voller Gefälligkeiten – das Blumengiessen bei dem Nachbarn werden wir ihm so schnell nicht verrechnen.»