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Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

Sharing Economy: Teilen statt besitzen nimmt Fahrt auf

 

Das Leben und die Welt werden durch Sharing Economy verändert. Aber zum Besseren? Wie funktionieren alternative Nutzungsmodelle, und wo sind ihre Grenzen? Drei Expertinnen und Experten haben an einer Veranstaltung von «NZZ Live» über den Istzustand, die Zukunftsaussichten und die menschlichen Eigenarten debattiert.

NZZ

Die Moderatorin mit den Diskussionsteilnehmenden (von links nach rechts): Andrea Martel («Neue Zürcher Zeitung»), Ivo David Kuhn (Sharely), Katja Rost (Universität Zürich), Roland Lötscher (Mobility).

NZZ Live

Ob Wohnungen, Elektrovelos, Autos, Boote, Bohrmaschinen oder Teppichreiniger: Immer mehr Leute kaufen einen Gegenstand nicht mehr, sondern mieten ihn für eine begrenzte Zeit. Viele Vermittler wie Uber, Airbnb, Mobility oder Sharely verändern die Handlungsmuster in der Gesellschaft. Mit ihrem Geschäftsmodell sollen bestehende Kapazitäten – gerade in Städten, wo der Platz knapp ist – besser ausgelastet werden, was auch der Nachhaltigkeit zugutekommt. Das scheint weltweit gut zu funktionieren, hat doch Airbnb im dritten Quartal dieses Jahres 100 Millionen Buchungen verzeichnet. Bei Uber waren es im gleichen Zeitraum 2 Milliarden Fahrten.

 
 
 

An einer Diskussionsveranstaltung von «NZZ Live» am 14. Dezember 2022 in Zürich sind unter der Gesprächsleitung von Andrea Martel, Wirtschaftsredaktorin der «Neuen Zürcher Zeitung», eine Expertin und zwei Experten der Frage «Sharing Economy: das Wirtschaftsmodell der Zukunft?» nachgegangen. Unterstützt wurde die Debatte von Sponsoringpartner Schulthess (siehe Infobox unten). Waschmaschinen in einer gemeinsamen Waschküche zu teilen, ist zwar nichts Neues. Die führende Schweizer Unternehmensgruppe in der Waschtechnik geht jedoch einen Schritt weiter und vermietet ihre Geräte und kümmert sich um den Unterhalt – ganz im Sinne von Sharing Economy.

Vereinfachung durch Digitalisierung

Am Anfang der Veranstaltung wollte Andrea Martel vom Publikum wissen, welche Anbieter bereits genutzt wurden. Mit je 63 Prozent schwangen Airbnb und Uber klar oben aus. Mit dem Carsharing-Unternehmen Mobility arbeiteten rund 40 Prozent und mit der Mietplattform Sharely etwa 8 Prozent zusammen. Katja Rost, Professorin für Wirtschaftssoziologie an der Universität Zürich, sagte, dass sie auch schon auf Angebote der beiden grossen US-amerikanischen Online-Vermittlungsdienstleister zurückgegriffen habe. «Und in der Wissenschaft nutze ich Netzwerke zum Teilen von Wissen, um etwas gegen die Macht der grossen Verlage zu unternehmen.» Die Digitalisierung habe zu einer Vereinfachung der Sharing Economy geführt, und der Markt sei dadurch transparenter geworden. «Man darf aber nie vergessen, dass es um ein wirtschaftliches Teilen geht, nicht um ein Teilen wie in der Familie oder unter Freunden.» Die Sharing-Firmen müssten profitabel sein.

«Man darf aber nie vergessen, dass es um ein wirtschaftliches Teilen geht, nicht um ein Teilen wie in der Familie oder unter Freunden.»
Katja Rost

Roland Lötscher, CEO von Mobility, erinnerte daran, dass seine Firma, beziehungsweise deren Vorläuferorganisation, schon 1987 an den Start ging. «Damals wurden die Autoschlüssel noch persönlich übergeben oder irgendwo deponiert», erinnerte er sich. Heute liessen sich die Fahrzeuge mit einer App auf dem Mobiltelefon oder von der Zentrale aus öffnen. Tatsächlich habe diese technologische Entwicklung das Wachstum angekurbelt, weil zunehmend mehr Kundinnen und Kunden merkten, wie einfach es ist, ein Auto bei Mobility auszuleihen.

Ivo David Kuhn, Co-CEO und COO von Sharely, erklärte, dass seine Firma daran sei, ein ganzes Ökosystem um die Mietobjekte herum zu bauen. «Bei uns sind die Produkte, die von Privatpersonen zur Leihe angeboten werden, versichert, und alles geschieht in einem regulierten Rahmen.» Das Geschäft sei zum Teil sehr saisonal, denn zum Beispiel Schneeschuhe würden dann angeboten und nachgefragt, wenn es gerade geschneit habe. «Wir stellen schon eine Tendenz fest, dass Mieten immer mehr zum neuen Kaufen wird – gerade bei Produkten wie Teppichreiniger, die man nicht sehr häufig braucht», sagt er.

Die Qualität ist entscheidend

Entscheidend ist laut Ivo David Kuhn und Roland Lötscher die Qualität. Das gelte für Sharely als auch für Mobility. «Gerade bei einem Mietauto muss alles in Ordnung sein, sagte der Mobility-CEO». Und Katja Rost bestätigt, dass sich der Markt hinsichtlich Qualität selbst bereinige. «Da haben grosse Anbieter oder gar Monopolisten sicher einen Vorteil.» Allerdings bestehe bei denen die Gefahr, dass sie Arbeitsstandards nicht einhalten, wie man bei Uber sehe.

«Wir stellen eine Tendenz fest, dass Mieten immer mehr zum neuen Kaufen wird – gerade bei Produkten, die man nicht sehr häufig braucht.»
Ivo David Kuhn

Damit ein Monopolist wachsen kann, ist gemäss den Aussagen von Roland Lötscher viel Risikokapital nötig. Um bei Uber zu bleiben: «Diese Firma ist bis heute noch nicht profitabel.» Mobility wolle vor allem auch nachhaltig sein und den Verkehr reduzieren. «Ein Mobility-Auto ersetzt in der Schweiz durchschnittlich elf Fahrzeuge, in der Stadt Zürich sogar noch mehr», betonte er. Nachhaltigkeit ist auch für Ivo David Kuhn wichtig. «Der Konsumwahn muss eingedämmt werden. Unser Bestreben ist es darum, die Übergabe der Produkte möglichst einfach und in der Nähe abzuwickeln.»

Gleichwohl würden in der Schweiz beispielsweise nur 0,1 Prozent aller Personenwagen geteilt, warf Andrea Martel ein. Den Grund dafür sieht Roland Lötscher in der hohen Kaufkraft. «Aber wir wachsen jedes Jahr netto um 20’000 und zählen gegenwärtig rund eine Viertelmillionen Kundinnen und Kunden», führte er aus. Mobility brauche vor allem Standplätze an attraktiven Lagen, die zum Beispiel von Städten, Gemeinden, den SBB oder der Raiffeisen Bank gemietet würden, um die Autos möglichst viel zu bewegen. «Wir wollen bis 2030 unsere komplette Flotte von 3000 Fahrzeugen auf Elektroautos umstellen», sagte der CEO von Mobility. Dafür seien aber Standplätze mit Ladesäulen notwendig, was sehr hohe Investitionen mit sich bringe.

Gute Angebote und Standorte

Katja Rost ist vom tiefen Anteil von 0,1 Prozent nicht überrascht. «Es muss ein grundlegender Wandel stattfinden», erklärte sie. Denn der Mensch sei ein Nutzenoptimierer, und es sei halt bequemer, wenn das eigene Auto vor der Haustüre oder in der Garage steht. «Der Mensch will besitzen, das ist tief in uns drin.» Roland Lötscher sieht die Erfolgschancen bei den guten Angeboten und Standorten. «Vor allem in den Städten wird der Raum knapp und knapper», sagte er. Mobility habe aber auch den Vorteil, dass man weder Räder noch Öl wechseln und sich grundsätzlich nicht um den Unterhalt des Autos kümmern müsse. «Insbesondere die Jüngeren, bei denen auch die Nachhaltigkeit eine grosse Rolle spielt, sprechen auf solche Annehmlichkeiten an.»

Ivo David Kuhn ergänzte, «dass Sharely mit der Hochschule Luzern daran forscht, welche Marktdurchdringung es bei welchen Objekten braucht, damit das Geschäftsmodell am besten aufgeht.» Für Roland Lötscher ist klar, dass je teurer ein Objekt ist und je weniger es genutzt wird, etwa ein Segelboot oder eine Ferienwohnung, desto eher geteilt werde. «Gut vermietbar sind auch Gebrauchsgegenstände, zu denen man keine persönliche Beziehung hat», warf Ivo David Kuhn ein. In der Stadt Zürich sei etwa ein Teppichreiniger schon innert dreier Monate amortisiert, wenn man ihn auf Sharely zum Mieten anbiete.