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Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

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IWP – Newsletter Oktober

FÜNF FRAGEN AN...
Frau Rost, «Krisenresilienz» ist das Schlagwort der Stunde. Wie funktioniert eine Gesellschaft im Krisenmodus?
Grundsätzlich so wie unmittelbar vor der Krise. Krisen deuten sich in Gesellschaften nämlich sehr viel langfristiger und schleichender an als in der Tagespolitik. Experten übersehen diese Signale regelmässig. Erstens weil wir als aktiver Teil der Gesellschaft diese nicht neutral von «oben» betrachten können. Zweitens weil Experten meist einer hoch selektiven Bevölkerungsschicht angehören. Krisen zeigen uns, dass das Fass übergelaufen ist. Dies kommt für viele dann recht überraschend. Aus gesellschaftlicher Sicht sind Krisen positiv, weil diese notwendige Veränderungen anstossen. Allerdings kommen solche Veränderungen oft zu spät und sind somit kostenintensiv. Vor der Krise wären Veränderungen einfacher umzusetzen und kostengünstiger gewesen – vorausgesetzt wir wären allwissend.

Ohne Fleiss kein Preis 
 eine alte Binsenwahrheit oder ein unterschätztes Gütesiegel?
Als Erbe oder Erbin werden Sie auch ohne Fleiss und Arbeitsanstrengungen belohnt. Was nicht automatisch heisst, dass sich alle Erben ausruhen. Andersrum gilt der Umkehrschluss «Mit Fleiss ein Preis» auch nicht immer. Wenn sie Pech haben, beispielsweise weil ihre Eltern keinen hohen Bildungshintergrund hatten und sie entsprechend mit geringen Bildungsaspirationen und -chancen ausgestattet sind, zahlen sich spätere Anstrengungen auf dem Arbeitsmarkt oft nur minimal aus. Insofern mag der Spruch für das Aufräumen der Wohnung gelten. Für Gesellschaften gilt: Ist erst einmal eine bestimmte Position erreicht, stiftet die Position allein einen Nutzen. Will heissen: Sie kommen ab dann auch ohne Anstrengungen weiter nach oben.

Was zeichnet die Schweizer Bildungslandschaft aus?
Qualität, soziale Durchlässigkeit und das bewährte Giesskannenprinzip. Erstens verfügt die Schweiz im Ländervergleich über sehr gut ausgebildete Personen. Grund sind die hohen Investitionen in Bildung, beispielsweise über die Zahlung wettbewerbsfähiger Löhne für Lehrkräfte, die gute Grundausstattung der Bildungsinstitutionen und die hohe Forschungsförderung. Zweitens ist die Bildungslandschaft in der Schweiz viel durchlässiger für Personen aus bildungsfernen Elternhäusern, für Personen mit Migrationshintergrund oder auch für Spätzünder. In der Schweiz können sie hervorragend auf dem zweiten oder dritten Bildungsweg noch ein Bildungsziel erreichen. Damit ist die soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems zwar nicht perfekt, aber besser als in vielen anderen Ländern. Drittens bewirkt der Schweizer Föderalismus, dass Gelder möglichst gerecht auf die unterschiedlichen Bildungsinstitutionen in den Regionen verteilt werden. Damit gibt es viele Leuchttürme, und nicht nur wenige, die eine hervorragende Ausbildung anbieten.  

Wie wichtig ist der Zufall?
Für Höchstleistungen ist Zufall wichtiger als Fleiss und Begabung. Es gilt, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Das Glück für Erfolg eine grosse Rolle spielt, muss man akzeptieren. Selbstständige wissen das nur zu gut. Was man allerdings nicht akzeptieren muss, ist das heutige Leistungsgesellschaften die Rolle von Fleiss und Begabung über- und die Rolle des Zufalls unterschätzen. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass den Gewinnern und Gewinnerinnen der Realitätsbezug abhandenkommt und die Verlier und Verliererinnen frustriert sind. Kein Wunder, dass immer mehr Personen am bestehenden System zweifeln.  

Was wünschen Sie sich für die Zukunft unserer Gesellschaft?
Etwas mehr Normalität und weniger Aufgeregtheit. Das heutige Leistungsdenken stösst an seine Grenzen. Schulnoten oder formales Qualifikationsniveau sagen nichts darüber aus, welche Leistungen jemand später tatsächlich erbringt. Zudem liegen die Leistungen der Menschen oft dichter beieinander als spätere Lohnunterschiede suggerieren. Dies zu begreifen und dann auch noch umzusetzen ist aber schwer und wahrscheinlich auch unrealistisch. Zudem regen sich die Leute heute über alles Mögliche auf. Schuld daran sind auch die sozialen Medien, die ein solches Stammtischverhalten befördern. «Leben und leben lassen» wäre hier die klügere Devise.