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Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

Re-Analyse der Daten nur für den wissenschaftlichen Nachwuchs

Beschreibung der Stichprobe des akademischen Nachwuchses

Ein Hauptvorwurf gegenüber unserer Untersuchung ist, dass wir den gesamten Pool an Befragten analysieren (Bachelorstudierende, Masterstudierende, Doktorierende, Post-Doktorierende, Assistenzprofessor*innen mit/ohne Tenure-Track, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen; jeweils in den Regressionen kontrolliert um den Studierenden-, Mitarbeiterstatus).

Für unser Vorgehen spricht, dass wir die «Leaky Pipline» untersuchen und damit eine repräsentative Grundgesamtheit benötigen, BEVOR jemand aus dem System hinauströpfelt.

Aber selbstverständlich kann man die Daten auch nur für die Gruppe der Personen analysieren, die im Wissenschaftssystem verbleiben, also Doktorierende, Post-Doktorierende, Assistenzprofessor*innen mit/ohne Tenure-Track und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen.

Im Folgenden zeige ich Ausschnitte aus diesen Auswertungen. Ich beschränke mich auf deskriptive Statistiken. Wie heisst es so schön: was eine Kreuztabelle nicht zeigt, zeigt meist auch keine noch so komplizierte Statistik. Dies gilt insbesondere für Querschnittsanalysen und Befragungsdaten.

Insgesamt beantworteten 1,495 Personen des wissenschaftlichen Nachwuchses unsere Befragung. Diese Stichprobe ist – im Gegensatz zu unserer Gesamtstichprobe – stark selektiv verzerrt.

Dies zeigt sich u.a. daran, dass 64% Frauen antworteten aber nur 36% Männer. In der Realität ist der Frauen- und Männeranteil beim wissenschaftlichen Nachwuchs – zumindest bis zum Post-Doktorat – fast ausgeglichen. Dieses Problem haben wir in der Gesamtstichprobe nicht, u.a. weil die Studierenden einen Grossteil der Befragten ausmachen. Ursächlich scheinen mir die finanziellen Anreize, welche wir setzten, um solchen Selektionsfehlern vorzubeugen. Weil das Thema «Leaky Pipline» für Männer tendenziell uninteressanter ist als für Frauen haben wir Preisgelder verlost, welche insbesondere aus Sicht der Studierenden objektiv gesehen höher waren (Maximum 730 CHF), aber auch subjektiv gesehen hoch waren (geringes Einkommen). Beim wissenschaftlichen Nachwuchs waren die Preisgelder objektiv gesehen geringer (Maximum 300 CHF), aber auch subjektiv gesehen geringer (bereits vorhandenes Einkommen).

Beim wissenschaftlichen Nachwuchs kann somit davon ausgegangen werden, dass die Frauen deswegen mehr geantwortet haben, weil sie das Thema der «Leaky Pipline» viel stärker beschäftigt als die Männer. Insbesondere traditionell orientierte Männer des wissenschaftlichen Nachwuchses (aber auch Frauen) haben an der Befragung nur sehr selten teilgenommen. Für diesen starken Selektionseffekt spricht die Beobachtung, dass in der Gesamtstichprobe nur 15% der Männer ein Frauenfach belegen. Beim Rücklauf des wissenschaftlichen Nachwuchses belegen aber 47% der Männer ein Frauenfach. Zudem beobachten wir einen analogen, wenn auch nicht ganz so dramatischen Effekt bei den Frauen: In der Gesamtstichprobe belegen 66% der Frauen ein Frauenfach. Beim Rücklauf des wissenschaftlichen Nachwuchses sind es 87%. Weil wir aus der Befragung wissen, dass Frauen und Männer aus Frauenfächern egalitärer orientiert sind, fallen die nachfolgend dargestellten Effekte in einer repräsentativen Stichprobe bei weitem höher aus. Sie werden also massiv unterschätzt. Trotzdem sind die Ergebnisse interessant.

Beschäftigungsgrad

Zunächst sehen wir beim Beschäftigungsgrad (Prozentanstellung) der Frauen und Männer das für die Schweiz typische Bild: der Grossteil der Männer besitzt eine 100%-Anstellung. Viele der Frauen haben hingegen reduzierte Beschäftigungsgrade. Die Ursachen hierfür kann die Befragung nicht klären. Sind es die freiwilligen Wahlentscheidungen der Frauen und Männer oder liegt eine strukturelle Benachteiligung vor, beispielsweise dass Frauen gerne höhere Pensen hätten, aber beispielsweise in Folge ihrer schlechteren Verhandlungsstrategien nicht bekommen. Fakt ist: sofern Frauen in Folge ihrer geringeren Beschäftigungsgrade auch weniger Arbeit in die Wissenschaft investieren, ergeben sich Nachteile für die Frauen in Bezug auf ihre Weiterqualifikation.

Mobilität

Auch bei der Mobilität des wissenschaftlichen Nachwuchses sehen wir – trotz Selektionsbias – bereits wesentliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern je nach Fachgebiet im Einklang mit dem «Gender-Equality-Paradox». So sind insbesondere die Frauen aus Männerfächern am meisten mobil (nur 2.2% haben bereits ihren Bachelor an der UZH/ETH absolviert) und die Frauen aus Frauenfächern am wenigsten mobil (51% haben bereits ihren Bachelor an der UZH/ETH absolviert). Aber auch bei den Männern zeigt sich eine viel höhere Mobilität in den Männerfächern (7.1% haben ihren Bachelor an der UZH/ETH absolviert) als in den Frauenfächern (36% haben ihren Bachelor an der UZH/ETH absolviert). Mobilität ist ein wesentliches Kriterium für akademischen Erfolg. Ursächlich für die geringere Mobilität in Frauenfächern ist die geringere Internationalität dieser Fächer, so beispielsweise, weil oft auch kulturelles Vorwissen benötigt wird. Ursächlich für die geringere Mobilität der Frauen in Frauenfächern verglichen mit der hohen Mobilität der Frauen in Männerfächern scheint aber auch das Gender-Equality-Paradox: Männerfächer können auf Frauen aus dem internationalen Markt zurückgreifen; und hier sind nicht alle Länder Wohlstandsländer. In Nicht-Wohlstandsländern ergreifen auch viele Frauen genderuntypische Fächerwahlen und streben öfter Karrieren an.

Altersunterschied in bestehenden Partnerschaften

Beim Altersunterschied in bestehenden Partnerschaften zeigt sich beim wissenschaftlichen Nachwuchs das typische Bild: Die ältesten Partner haben die Frauen aus Frauenfächern und die jüngsten Partnerinnen haben die Männer aus Frauenfächern. Damit haben die Frauen in Frauenfächern in ihren Partnerschaften aber auch eine schlechtere Verhandlungsposition als die Männer in Frauenfächern in ihren Partnerschaften, beispielsweise wenn es um den karrierebedingten Umzug in eine neue Stadt geht oder den Verzicht auf Karriere bei Geburt des ersten Kindes. In Männerfächern schwindet dieser Verhandlungsnachteil interessanterweise insbesondere deswegen, weil die Männer über eher gleichaltrige Partnerinnen verfügen. Bei diesen Auswertungen gilt es aber zu berücksichtigen, dass die ausgewertete Stichprobe hoch selektiv ist.

Einkommen und Vermögen des/der Partners/in

Beim Einkommen und Vermögen des/der Partners/in zeigt sich auch beim akademischen Nachwuchs, dass sich insbesondere die Frauen aus Frauenfächern oft in Partnerschaften befinden, in der der Mann über ein höheres Einkommen/Vermögen verfügt als die Frau. Frauen aus Männerfächern befinden sich diesbezüglich häufiger in egalitäreren Partnerschaften. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass Frauen aus Männerfächern überdurchschnittlich oft aus vermögenderen Elternhäusern kommen. Auf diesen Effekt gehen wir im Leaky-Pipline Papier ausführlicher ein.

Karrierechancen

Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei den Karrierechancen. Am traditionellsten ist das Muster bei Männern aus Männerfächern: hier besitzt zu einem Grossteil der Mann die höchsten Karriereaussichten. Hingegen ist das Muster bei den Frauen aus Männerfächern am wenigsten traditionell: es ergibt sich ein sehr ausgeglichenes Bild der Karrierechancen beider Partner. Damit ergibt sich für diese Frauen – zumindest im Vergleich zur «Durchschnittsfrau» – ein relativer Vorteil bei Karriereentscheidungen. Auch wenn die Ausgangslage dieser Frauen schlechter ist als die der Männer in ihrer Disziplin. Zwischen den Männern und Frauen des akademischen Nachwuchses in Frauenfächern gibt es hingegen kaum Unterschiede. Aber der Altersunterschied zwischen den Partnern spielt sicherlich eine Rolle bei den letztendlich realisierten Karriereentscheidungen. Und hier zu Ungunsten der Frau.

Vorhandenseins eines Kindes

Interessant ist auch eine Analyse des Vorhandenseins eines Kindes: es zeigt sich auch beim akademischen Nachwuchs sehr deutlich, dass Frauen und Männer in Frauenfächern familienorientierter sind als Frauen und Männer in Männerfächern. Immerhin 38% der Männer aus Frauenfächern und 27% der Frauen aus Frauenfächern sind bereits Eltern. Dies steht eklatant im Verhältnis zur bisherigen Kinderlosigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses in Männerfächern. Ob hierfür auch strukturelle Gründe relevant sind, beispielsweise die Familienunfreundlichkeit von Männerfächern, kann nicht beantwortet werden. Allerdings ist das Vorhandensein von Kindern oft ein Mobilitätshindernis bei karrierebedingten Umzügen, so wegen des Rufs auf eine Professur. Dieses Hindernis ist besonders hoch für die Frauen, insbesondere wenn der Partner älter und vermögender ist und/oder über hohe Karriereaussichten verfügt. Wie gezeigt gilt diese Asymmetrie tendenziell mehr für die Frauen aus Frauenfächern.

Ablehung der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau

Zum Abschluss noch eine Abbildung, inwiefern die Befragten die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ablehnen (strong equality) oder befürworten (weak equality). Es handelt sich um eine Likert-Skale aus diversen Items (zitiert im «Leaky Pipline» Papier). Auch in dieser selektiven Stichprobe lehnen die Frauen aus Frauenfächern die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau am stärksten ab. Am stärksten befürwortet werden diese Modelle hingegen von Frauen und Männern aus Männerfächern. Mit ihrem egalitären Anspruch stehen die Frauen aus Frauenfächern aber – sofern diese eine Professur anstreben - vor der Herausforderung zwei gleichberechtigte Karrieren unter einem Hut zu vereinen. Das kann gelingen – keine Frage. Mit berufsbedingten Umzügen handelt es sich bei diesem Modell aber oft um eine multifokale Familie, also eine Familie, die an zwei örtlich getrennten Haushalten zusammenlebt. Gerade mit Kindern stellt dieses Modell viele Partnerschaften vor eine grosse Herausforderung und wird oft – leider zu Ungunsten der Frau – nicht realisiert.

Fazit und weiterere Forschung

Unsere Re-Analyse der hochselektiven Stichprobe des akademischen Nachwuchses bestätigt die These, dass insbesondere für die Frauen aus Frauenfächern die höchsten Identifikationskosten bei einer akademischen Karriere entstehen. Identifikationskosten sind Kosten, die entstehen, wenn man gegen vorherrschende Rollenmodelle verstösst. Diese Kosten sind deswegen sehr hoch, weil diese Frauen tendenziell ältere, erfolgreiche Partner haben und eine egalitäre Partnerschaft mit Kindern anstreben. Dennoch – oder gerade deswegen - ist die Mobilität dieser Frauen eher gering. Damit stehen diese Frauen vor dem Dilemma zwei Karrieren an unterschiedlichen Orten unter einen Hut zu bringen. Mehr Verhandlungspotenzial in den Partnerschaften besitzt in den von ihnen gewählten Partnerschaften oft der Mann. In der Realität gestaltet sich dies dann oft so, dass entweder die Frau auf ihre Karriere verzichtet oder die Frau auf Kinder verzichtet (und pendelt), oder die Frau, obwohl Kinder vorhanden sind, zwischen Lebens- und Arbeitsort mit den Kindern pendelt, oder die Frau mit den Kindern an ihrem Arbeitsort alleine lebt und der Partner pendelt. Alles sehr schwierige Lebensentscheidungen. Aber dies ist eine qualitative Einordung der Befunde in Folge der existierenden Literatur zum Thema und meiner vorangegangenen Forschung. Mehr empirische Evidenz ist notwendig, insbesondere unter Rückgriff auf eine repräsentativen Stichprobe des akademischen Nachwuchses (über welche wir leider nicht verfügen) und zu Stichproben, die den Dropout der Frauen und Männer aus dem akademischen System mitberücksichtigen.