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Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

Wir wollen Konflikt! Wir wollen Konflikt! Wir wollen Konflikt!

Der Beitrag in der Sonntagszeitung zu unserer Leaky-Pipline-Studie hat ein Monstrum geweckt. Einen schier nicht enden wollender Schwall aggressiver Äusserung. Eine hitzige Diskussion in den Medien. Diese Explosivität und Massivität haben selbst mich überrumpelt - dies obwohl ich mir der Brisanz des Themas bewusst war. Woher kommt diese Aggression? Eine Spurensuche.

Nicht nur die Schlagzeile

Eine simple Begründung liefert die reisserische, undifferenzierte Schlagzeile der Sonntagszeitung. Gerade im Zeitalter der Kurznachrichten lesen Personen nicht weiter. Erst recht beschäftigt man sich nicht mit tiefgründigen Argumenten oder schon gar nicht mit der Originalstudie (PDF, 3 MB). Stattdessen steuert die emotionale Erregung über die ersten 100 gelesenen Zeichen den Diskurs. Sicher, diese These ist nicht falsch. So schlagen wir Gleichstellungsmassnahmen zur Verbesserung der Situation der Frauen vor (steht sogar am Ende im Beitrag der Sonntagszeitung… man staunt!). Im hitzigen Diskurs kamen diese Vorschläge völlig abhanden oder wurden sogar in das Gegenteil verkehrt, beispielsweise indem suggeriert wurde, wir wollten den Frauen schaden. Das ist geradezu grotesk.

Dennoch: allein die Schlagzeile erklärt die Emotionalität dieser Diskussion nicht. Analoge Themen führten in letzter Zeit zu ähnlich aggressiven Äusserungen und Diskussionen (siehe Homepage zur Leaky Pipline und Nachtrag 1). Ohne heftige Schlagzeile.

Falsches Ergebnis

Woran lag es dann? Unsere Untersuchung kommt zum Befund, dass Frauen an den von uns untersuchten Universitäten mittlerweile nicht mehr diskriminiert werden. Dieser Befund steht im Einklang mit anderen, neueren Studien zu diesem Thema. Dennoch: die Situation für Frauen, insbesondere für junge Mütter, ist schwierig. Schuld daran sind aber nicht die untersuchten Universitäten, sondern die Gesellschaft. Wir legen dies ausführlich in unserer Untersuchung dar und zeigen auf, was Bildungseirichtungen tun könnten, um die Situation ambitionierter Frauen zu verbessern. Spätestens ab dem 2. Satz dieses Abschnitts («Frauen werden nicht mehr diskriminiert») lesen Personen – und interessanter Weise insbesondere viele der Akademiker*innen – nicht mehr weiter. Warum? Wir sprechen ein Tabu aus.

Aufschrei bei maximaler Ahnungslosigkeit

Warum darf man solche Resultate nicht mehr äussern? Hierfür sehe ich drei Gründe in der aktuellen Entwicklung des Gleichstellungsdiskurses.

Erstens fällt bei den Debatten auf, dass viele der selbsternannten Expert*innen nicht zwischen Diskriminierung auf Arbeitsmärkten und gesellschaftlichen Normen unterscheiden können. Es kommt zu einer wilden Vermischung beider Aspekte in den Diskussionen, wie ich am Beispiel  meiner Kritik an Tamara Funiciello aufzeige. Man kann für ein Problem keine Lösungen vorschlagen, wenn die Ursachen des Problems nicht verstanden wurden. Das gilt nicht nur in den Natur- sondern auch den Sozialwissenschaften.

Zweitens ist bemerkenswert wie unreflektiert der Diskriminierungsbegriff in den Diskussionen verwendet wird. Diskriminierung liegt vor, wenn eine Gruppe von Personen systematisch an gesellschaftlicher Teilhabe und von Machtpositionen ausgeschlossen wird. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einem Frauenanteil von 10% am Studienanfang nicht 50% Frauen auf Leitungspositionen folgen können. In diesem Fall würden Organisationen Männer systematisch diskriminieren (siehe hierzu auch meinen Nachtrag 2 am Ende dieses Blogs). Umgekehrt darf man aber durchaus fragen, ob nicht eine Diskriminierung der Frauen vorliegt, wenn diese am Studienanfang noch 80% ausmachen, dann aber auf Machtpositionen zu 40% zusammenschrumpfen. In unserer Analyse versuchen wir eine Antwort: der Frauenschwund liegt eher in den gesellschaftlichen Strukturen und weniger in den Organisationen begründet. Andere Ursachen erfordern andere Massnahmen. Aber bis zu diesem Argument kommen die Leser*innen meist nicht. Wild werden Anschuldigungen gemacht und willkürliche Massnahmen gefordert und ergriffen!

Drittens ist ernüchternd, wie selten die Debatten neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen. In Wohlstandsländern sind Frauen – wie die jüngere Literatur aufzeigt – bei weitem nicht mehr so oft Opfer wie sie dies früher ohne Frage waren. Trotzdem gibt es zwischen Männern und Frauen Unterschiede - so in Folge gesellschaftlicher Normen. Auf den Gleichstellungsanlässen diskutieren wir aber weiterhin fast ausschliesslich die reichhaltige Diskriminierungsliteratur. Auch wenn vieler dieser Studien 10, 20 oder 30 Jahre alt sind und einige Erkenntnisse nicht mehr auf unsere heutigen Organisationen übertragbar sind. Wenn ich ständig Diskriminierung höre, dann glaube ich auch daran. Keine Frage.

Wollen wir Konflikte oder wie wäre es mit Lösungen?

Wir haben die Wahl. Wir können so fortfahren wie bisher. Die Konsequenz? Die Fronten zwischen den Geschlechtern und der unterschiedlichen Perspektiven innerhalb eines Geschlechts verschärfen sich. Auch arbeiten wir weiterhin bei vielen Aspekten der Gleichstellung an Scheinlösungen, weil wir die eigentlichen Ursachen nicht verstehen wollen. Scheinlösungen haben Konsequenzen: sie gefährden die Wettbewerbsfähigkeit von Organisationen und diskriminieren unter dem Deckmantel der Chancengleichheit. Wir könnten aber auch sachorientiere Lösungen suchen, indem wir versuchen uns Argumenten zu öffnen, anstelle gleich laut aufzuschreien. Im letzten Fall hätte es sich gelohnt das Monstrum zu wecken.

«Die» Männer sind nämlich – sofern wir in heterosexuellen Beziehungen leben, was die Mehrheit der Frauen noch immer tut – auch «unsere» Männer. Natürlich leben die meisten der leistungsorientierten Frauen nicht in traditionellen Partnerschaften. Aber: meist in lateralen Beziehungen, in denen der «eigene» Mann ebenfalls erfolgreich ist (nach welchem Kriterium auch immer beurteilt, also nach privatem Status, beruflichem Status oder Geld). Zudem gibt es nicht die Kategorie «der» Frauen, also von «uns». Viele (nicht alle!) unserer männlichen Kollegen leben nach wie vor in traditionelleren Partnerschaften, in denen die Frau den Grossteil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit übernimmt. Wir ärgern uns darüber, weil diese Männer ihren Beruf entspannter wahrnehmen können. Auch ich. Aber haben wir das Recht über diese Männer und deren Frauen zu urteilen und diese Lebensmodelle abzuwerten? Nein. Dieses Recht haben wir nicht. Was wir machen können, ist an konstruktiven Lösungen zu arbeiten. Und diese schlagen wir vor. Aber: Diese Lösungen dürfen weder die Leistungsfähigkeit von Organisationen beeinträchtigen, noch dürfen diese Lösungen unter dem Deckmantel der Chancengleichheit zur Diskriminierung anderer Gruppen führen. Sonst fördern wir Konflikte und treiben die horizontale Segregation auf Arbeitsmärkten noch stärker voran. Ist das wünschenswert? Ich bin überzeugt: nein!

Also: weniger Aufschrei. Dafür mehr konstruktive Lösungen!

Nachtrag 1: Die Diskussion um den Gender-Tag in Stäfa zeigt, in welche Richtung wir fortschreiten. Im Gegensatz zu unserer Studie, wo der Aufschrei von «links» kam, kam der Aufschrei in Stäfa von «rechts». Die zu Grunde liegenden Ursachen unterscheiden sich hingegen kaum. Der Aufschrei in Stäfa folgte, ohne überhaupt nachvollzogen zu haben, wofür dieser Tag überhaupt gut sein soll. Emotionalität leitet die Debatte anstelle eines lösungsorientierten Diskurses. Für demokratische Gesellschaften ist das einfach nur beschämend.

Nachtrag 2: Einige Vertreter*innen von MINT-Studiengängen vertreten die These, dass ein höhere Prozentanteil an Frauen in Leitungspositionen im Vergleich zum Anteil der weiblichen Studierenden Rollenmodelle schaffen würde und damit der Anteil an weiblichen Studierenden mit der Zeit zunehmen würde. Das ist ein sehr gewagtes Sozialexperiment. Erstens sind gesellschaftliche Normen endogen bedingt und somit durch exogene Eingriffe nur schwer beeinflussbar. Dies zeigt z.B. der Lehrer*innenberuf. Dieser wird in der Mehrheit mittlerweile von Frauen ausgeführt. Männer lassen sich ausbilden und weichen danach auf andere Berufe aus. Wollen wir dies auch für Professuren? Ich würde meinen, nein! Universitäten wollen die Besten – Geschlecht hin oder her. Zweitens leben demokratische Wohlstandsgesellschaften von der freien Wahlentscheidung von Personen. Wenn Frauen und Männer, aus welchen Gründen auch immer, sich zu bestimmten Fächern mehr hinzogen fühlen als zu anderen, dann sollten wir ein anderes Verhalten auch nicht erzwingen. Natürlich kann man die dahinter liegenden Stereotype adressieren – und dafür machen wir Vorschläge. Ich persönlich bin froh nicht mehr in einer Diktatur zu leben. Dort hätte ich Physik und Mathematik studiert; auch weil die Sozialwissenschaften indoktriniert waren. Ist es verurteilenswert, dass ich in demokratischen Gesellschaften ein Fach gewählt habe, das zwar schlecht bezahlt wird, mich dafür aber interessiert? Ich denke nein. Ein guter Freund gab mir einmal folgende Weisheit auf meinen Weg: leben und leben lassen. Und genau darum geht es.

Nachtrag 3: Ich verbiete mir unqualifizierte Beiträge zu unseren «minimalen» Differenzen zwischen weiblichen und männlichen Studierenden je nach Fachrichtung (welche im übrigen in den Regressionen grösser ausfallen; aber diese können viele Personen scheinbar nicht mehr lesen (?)). Hierzu gibt es eine reichhaltige soziologische Forschung, zu der ich auch selbst beigetragen habe. Diese zeigt auf, wie sich solche scheinbar marginalen Machtungleichgewichte bei Antizipation von Elternschaft bzw. spätestens ab Geburt des ersten Kindes in immense Machtungleichgewichte umwandeln können. Literaturkenntnis schützt vor Neuerkenntnis! Bitte nachlesen. Danach können wir gerne diskutieren.
siehe hierzu z.B. Ridgeway, Cecilia L., et al. "How do status beliefs develop? The role of resources and interactional experience." American Sociological Review (1998): 331-350.

Nachtrag 4: Gerade die Peer-Reviewed-Forschung unterstüzt normative Debatten (welch Wunder ...), indem systematisch bestimmte empirische Resultate unterdrückt werden. Dies wird Publikationsfehler genannt.Ich habe dazu selbst geforscht. Das gilt auch für die Naturwissenschaften, so die medizinische Forschung.

Nachtrag 5: Ich habe das Gleichstellungspräsidium an der UZH übernommen, um mich für die Gleichstellung aller Geschlechter an der UZH einzusetzen. Und das tue ich auch. Ich vertrete weder eine Gleichschaltung noch eine Bevorzung von Frauen oder Männern oder anderen Geschlechtern. Ich vertrete keine Partikularinteressen. Aber: ich bin offen für Diskussionen.

Nachtrag 6: Dies bedeutet nicht dass Gleichstellung nicht mehr notwendig ist. Das ist diese! Die Lösungen müssen aber zu den Problemen passen. Zudem ist Gleichstellung keine Einbahnstrasse. Die Lösungen müssen zu den entsprechenden Herausforderungen der Zeit passen und deswegen auch ab und an angepasst werden.