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Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

Meine Antwort auf die Kritik von Tamara Funiciello im Tagesanzeiger

Ich habe mich sehr über die Kritik von Tamara Funiciello an unseren Befunden zu den Ursachen der Leaky Pipline im Tagesanzeiger gefreut. Als SP-Nationalrätin, Co-Präsidentin der SP-Frauen, erste Frau an der Spitze der Juso und das Gesicht des Frauenstreiks 2019 engagiert sie sich seit Jahren für die Gleichstellung der Geschlechter und hat sich ohne Frage stark mit der Leaky Pipline auseinandergesetzt.

Da ihre Kritik mir ermöglicht, einige unserer Schlussfolgerungen und Argumente besser zu verstehen, gebe ich hier die wichtigsten Punkte ihrer Kritik ausschnittweise wieder und zeige, wie unsere Untersuchung bereits eine Antwort darauf gibt. Dafür lege ich jede einzelne Kritik Funiciellos dar; ausser nicht-sachbezogene Argumenten, bspw. dass unsere Untersuchung nicht von unabhängigen Wissenschaftlern überprüft wurde. Vielmehr gehe ich auf die inhaltlichen Kritikpunkte ein. 

Funiciellos Kritik: Frauen und Männer verdienen nach wie vor nicht gleich viel für dieselbe Arbeit – und tendenziell nimmt die Lohnungleichheit nicht ab, sondern zu.

In der Tat beobachten wir in Wohlstandsgesellschaften eine Persistenz des Lohn-Gaps zwischen Männern und Frauen, welches je nach Analyseart sogar zunimmt. Folgende Ursachen liegen zu Grunde:

(1) Selbstselektion der Frauen in schlechter vergütete (dafür von diesen oft als erfüllender empfundene) Berufsfelder. Selbstselektion der Männer in gut vergütete (von den Frauen oft als weniger erfüllend empfundene) Berufsfelder. Dies hängt mit dem Gender-Equality-Paradox und der zunehmenden horizontalen Segregation auf Arbeitsmärkten zusammen. Tamara Funiciello ist SP-Politikerin. Ich bin Soziologin. Wir beiden bestätigen diesen Trend.

(2) Die nach wie vor stärkere Teilzeitarbeit der Frauen, und hier insbesondere der Mütter. Teilzeitjobs werden im Stundenlohn schlechter vergütet, u.a. weil Berufserfahrungen fehlen oder die Positionen weniger Verantwortung mit sich bringen.

(3) Weniger Mobilität der Frauen – insbesondere der Mütter und von Frauen mit antizipierter Mutterschaft – bei externen Beförderungsmöglichkeiten, z.B. durch Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land. Externe Beförderungen werden überproportional vergütet. Grund für die geringere Mobilität der Frauen sind Identitätskosten, die für diese Frauen entstehen. Der männliche Partner ist oft weniger bereit umzuziehen als die weibliche Partnerin. Paare, die sich dieser gesellschaftlichen Norm entziehen, werden oft mit negativen Reaktionen aus dem Umfeld, z.B. Eltern, Schwiegereltern, Freunde, bestraft. Hinzu kommt, dass in vielen Paarbeziehungen, auch bei Hochqualifizierten, der Mann oft mehr verdient als die Frau (in Folge des Punktes (1)). Dies führt zu einer schlechteren Verhandlungsposition der Frau. Zudem ist es nach wie vor die Frau, welche den Grossteil der Betreuungs- und Haushaltstätigkeiten übernimmt. Die Frau müsste diese Tätigkeiten bei einem Umzug, neben dem neuen Jobengagement, neu organisieren. Hierfür fehlen Frauen oft Zeit, Nerven und Kraft.

Wenn man diese Umstände in Lohnanalysen berücksichtigt (wofür die Daten meist nicht oder nur unzureichend vorliegen), zeigen sich mittlerweile kaum noch Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen. Dies passt auch zum Befund, dass sich die Einstiegsgehälter von (noch kinderlosen) Männern und Frauen innerhalb eines Berufs-/Qualifikationsfeld kaum mehr unterscheiden. Selbstverständlich muss berücksichtigt werden, dass dies immer nur allgemeine Aussagen sind, die nicht auf jeden Berufssektor und Tätigkeitsbereich gleichermassen zutreffen müssen. Ich selbst habe für die Universität Zürich zwei Lohnanalysen der Professor*innengehälter (PDF, 391 KB) durchgeführt. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren kommen wir zum Befund, dass an der Universität Zürich Professorinnen den gleichen Lohn erhalten wie Professoren.

Ist deswegen alles in Ordnung? Bei weitem nicht. In unserer Untersuchung schlagen wir deswegen Massnahmen vor, die die Doppelbelastung von Frauen mit Kindern berücksichtigen, als auch verpflichtende Kurse für Studierende, die über solche Konsequenzen, Rollenbilder und Identitätskosten aufklären (siehe Osterloh, Rost, Hizli, Mösching (2023), How to explain the Leaky Pipeline?, S. 29 f.). Wenn man sich normativer Muster bewusst ist, können die eigene Handlungen auch besser reflektiert werden. Reflektion schafft neue Handlungsgrundlagen.

Funiciellos Kritik: Auch wenn Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass sich die Lohnschere zwischen Mann und Frau erst bei der Heirat öffnet, kontert Frau Funiciello dass es ihr um die unerklärte Lohnungleichheit geht. Darum, dass Frauen für dieselbe Arbeit in derselben Funktion mit derselben Ausbildung weniger verdienen als Männer.

Diesen Punkt lege ich oben ausführlich dar. Viele Lohnanalysen kommen zu einer hohen unerklärten Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau, weil die notwendigen Kontrollvariablen in den Betriebsstatistiken der Unternehmen nicht oder nur unzureichend vorhanden sind. Wenn man um diese Faktoren kontrollieren kann, zeigen sich in den jüngsten Untersuchungen meist kaum mehr Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine regelmässige Lohnanalyse in Unternehmen und Organisationen, die auf potenzielle Diskriminierung von Minderheiten überprüft (nicht nur von Frauen, sondern auch von Personen mit Migrationshintergrund, aus sozial schwächeren Elternhäusern, anderer sexueller Orientierung oder Religion etc.) ist dennoch angebracht. Allerdings müssen wesentliche Störvariablen, die in Folge von Selbstselektion zustande kommen, ausgeschlossen werden. Anders kann nicht auf Diskriminierung geschlossen werden.

Hierzu existiert eine umfangreiche Forschung. Hier einige Grundlagenliteratur zum Einlesen:

Bozoyan, Ch., Wolbring, T. (2012), Körpermerkmale und Lohnbildung, in: Brau, N., Keuschnigg, M., Wolbring, T. (Hrsg.), Wirtschaftssoziologie II, Anwendungen. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 227-253.
Schmitt, L., & Auspurg, K. (2022).
A Stall Only on the Surface? Working Hours and the Persistence of the Gender Wage Gap in Western Germany 1985–2014. European Sociological Review.
Strittmatter, A., Wunsch, C. (2021). The Gender Pay Gap Revisited with Big Data: Do Methodological Choices Matter?, arXiv preprint arXiv:2102.09207 (Achtung: nicht peer-reviewed, aber bereits 17 mal zitiert…)

Funiciellos Kritik: Hinsichtlich der unerklärten Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau argumentiert Frau Funiciello weiterhin, dass es nicht so ist, dass Frauen bei der Familiengründung weniger arbeiten, sondern einfach andere Arbeit leisten. Mutter werden stellt ein Armutsrisiko für Frauen dar.

Hier vermischt Frau Funiciello zweifelsohne verschiedene Sachverhalte. (1) Löhne beruhen auf dem Engagement auf Arbeitsmärkten und nicht in Familien. Das mag man als ungerecht empfinden, entspricht nun aber einmal der Marktlogik. Unternehmen zahlen ihren Angestellten Lohn, weil diese für die Unternehmen Mehrwert generieren. Was man daran ändern könnte zeigen die Debatten um das bedingslose Grundeinkommen. Aber auch dieses Konzept wird nicht ganz unkontrover diskutiert, weil es die Position der Frauen verschlechtern könnte. Ich bin keine Expertin in diesem Thema und kann mich folglich auch nicht sachbezogen äussern. (2) Es bestreitet niemand, dass Frauen (spätestens ab Familiengründung) die meiste Zeit mit den Kindern, dem Haushalt, der Organisation des Familien- und Freundeskreises, der Pflege von Verwandten etc. verbringen. Ich selbst habe vor sieben Jahren eine Untersuchung zu diesem Thema für hochqualifizierte Paare, die gerade Eltern geworden sind, für die Schweiz gemacht. Die Datenlage ist erschreckend. Deswegen gebe ich meinem damaligen Beitrag auch den Untertitel, die «Diskriminierung» der Frau beginnt zu Hause. Grund für diese Befunde sind weiterhin fest verankerte Rollenmuster, welche wir auch in unserer derzeitigen Untersuchung bei den jungen Studierenden vorfinden. Wenn auch viel schwächer. Leider verstärken sich diese schwach ausgeprägten Rollenmuster mit der Antizipation von Elternschaft und spätestens ab Geburt des ersten Kindes. Eine sehr schöne Beschreibung dieser Re-Traditionalisierung von Paaren kann man nachlesen in: Bathmann, N., Müller, D., & Cornelißen, W. (2011). Karriere, Kinder, Krisen: Warum Karrieren von Frauen in Paarbeziehungen scheitern oder gelingen. In Berufliche Karrieren von Frauen (pp. 105-149): Springer. Dies ist auch der Grund, warum unsere Studie im UFSP «Human Reproduction reloaded» angesiedelt ist. Elternschaft ist der massgebliche Grund für die weiterhin bestehende Ungleichheit zwischen Mann und Frau in demokratischen Wohlstandsländern.

In re-traditionlisierten Familienbeziehungen wird der Hauptteil der Care-Arbeit durch die Frauen übernommen und vom Mann indirekt vergütet, indem dieser zu grossen Anteilen für das Haushaltseinkommen zuständig ist. (1) Dies kann man so akzeptieren. Dann aber mit dem potenziellen Armutsrisko, welches diese Frauen in Kauf nehmen müssen. In der Tat ist es nämlich so, dass alleinerziehende Mütter (aber auch alleinerziehende Väter, welche allerdings viel seltener vorkommen) die mit Abstand armutsgefährdetste Gruppe in Gesellschaften darstellen; nicht nur in der Schweiz. (2) Besser wäre etwas an diesen Tatsachen zu ändern: (a) indem man die Frauen und Männer über die negativen Konsequenzen solcher Familienmodelle aufklärt und beide Seiten dazu motiviert auch nach Geburt des Kindes ihre Berufswege weiterzuverfolgen und (b) Modelle in Organisationen schafft, die diese Doppelbelastung junger Mütter bei beruflichem Engagement berücksichtigen. Beides schlagen wir vor (siehe Osterloh, Rost, Hizli, Mösching (2023), How to explain the Leaky Pipeline?, S. 29 f.).

Funiciellos Kritik: Frau Funiciello erklärt sich die Persistenz von Genderrollen bei jungen Personen ohne Kinder u.a. dadurch, dass junge Frauen die verzweifelte Lage ihrer Mütter mitbekommen. Diese Mütter leiden unter Burn-out Depressionen, haben deswegen ihr Pensum reduziert und machen keine Karriere, weil Frauenberufe schlecht bezahlt sind.

Hier vermischt Frau Funiciello wieder verschiedene Sachverhalte.

1) Zum ersten bekunden Frauen und Männer eine gleich hohe Lebenszufriedenheit, wie mein Kollege Martin Schröder in seinem Buch «Wann sind Frauen wirklich zufrieden?» darlegt. Das Buch hat ähnlich hohe Wellen geschlagen, wie unsere Untersuchung. Die allgemeine Feststellung, dass es allen Müttern schlecht geht, ist somit nicht haltbar. Wird aber auch bei den Befunden von Schröder in der öffentlichen Debatte angezweifelt und vehement kritisiert, u.a. mit dem Argument, dass seine empirischen Befunde nicht vergleichbar zwischen Frauen und Männer sind.

(2) Zum zweiten reduzieren viele Frauen – aber bei weitem nicht alle (u.a. weil es für Mütter oft keine Optionen in Organisationen gibt, welche wir verbessern wollen (Osterloh, Rost, Hizli, Mösching (2023), How to explain the Leaky Pipeline?, S. 29 f.)) – freiwillig ihre Pensen. Dies hängt mit Elternschaftsnormen zusammen, welche u.a. besagen, dass ein Kind am Anfang seines Lebens auch von den Eltern betreut werden soll und nicht nur in Kindertagesstätten. Solche Normen verändern sich nur langsam bzw. manchmal auch gar nicht. Insbesondere nicht in Gesellschaften, in denen man es sich leisten kann mit Teilzeit finanziell über die Runden zu kommen (dies hat auch etwas damit zu tun, dass circa 20% der heutigen jungen Personen mehr als ein Lebenseinkommen erben werden). Trotzdem sollte man hier ansetzen und versuchen einen normativen Wandel herbeiführen. Und dafür machen wir wiederum Vorschläge (Osterloh, Rost, Hizli, Mösching (2023), How to explain the Leaky Pipeline?, S. 29 f.).

(3) Zum dritten wählen Frauen schlecht bezahlte Frauenberufe und -fächer, u.a. weil sie diese Berufe mehr interessieren oder weil diese Berufe häufig besser mit der Elternschaft kompatibel sind (z.B. Halbwertzeiten des Wissens, Flexibilität der Arbeitszeiten etc.). Natürlich spielen Stereotype eine Rolle, wie beispielsweise meine Kollegin Benita Combet in einer Studie aufzeigt. Das Verhalten der Frauen und Männer wäre ein anders, wenn die sozialen Normen und gesellschaftlichen Strukturen anders wären. Hier kann man wiederum ansetzen (siehe Osterloh, Rost, Hizli, Mösching (2023), How to explain the Leaky Pipeline?, S. 29 f.). Normative Interventionen sollten aber auf freien Wahlentscheidungen beruhen und nicht auf Zwang. Es ist unglaubwürdig, wenn ich als Soziologin andere Frauen davon versuche zu überzeugen, dass sie MINT studieren sollen. Man kann aber versuchen gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, welche zu einem genderneutraleren, freiwilligen Entscheid der Männer und Frauen führen. Bei diesem Punkt gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass die Wahlentscheidungen der Frauen heute heterogener und weniger stereotyp ausfallen als früher. Die Wahlentscheidungen der Männer scheinen hingegen in der Tendenz stereotyper zu werden als früher; Männer weichen immer stärker in reine Männerfächer und -berufe aus (siehe Bildungsreport der Schweiz, die Forschung von Peer Block (2023)und die Resultate zur Gender-Segregation in unserer Untersuchung).

(4) Zum vierten beobachten wir, dass Berufe, in denen der Frauenanteil stetig zunimmt (die sich also zu Frauenberufen wandeln) mit der Zeit auch schlechter bezahlt werden. Dieses Phänomen ist meiner Kenntnis nach noch nicht abschliessend untersucht. Wir haben das Huhn-Ei-Problem. Liegt es daran, dass Märkte diskriminieren (was bei Marktversagen in der Tat vorkommen kann, z.B. im Bildungs- und Sozialbereich, in dem Frauen oft tätig sind). Oder liegt es daran, dass sich Berufe mit der Zeit verändern und sich die Frauen in Berufe selektionieren, die besonders stark mit ihren Wünschen und Interessen, so auch nach Familienfreundlichkeit, übereinstimmen. Diese Berufe werden auf Märkten meist schlechter vergütet.

Funiciellos Kritik: Frau Funiciello legt weiterhin dar, dass insbesondere jene Frauen zu Hause bleiben, die es sich finanziell leisten können.

Quod erat demonstrandum: Damit bestätigt Frau Funiciello den reisserischen Titel der Sonnntagszeitung,,, Trotzdem bestehen in der gesamten Gesellschaft (wir betrachten in unserer Untersuchung eine hochselektive Gruppe und zwar die Akademiker*innen) Unterschiede: In der Schweiz bleiben beispielsweise Mütter mit geringer Ausbildung häufiger zu Hause als Akademikerinnen. Mütter mit geringer Ausbildung arbeiten aber auch häufiger Vollzeit als Akademikerinnen. Bei den Vätern bleiben Väter mit geringer Ausbildung häufiger zu Hause. Akademiker-Väter arbeiten häufiger Vollzeit als Väter mit geringerer Ausbildung. Die Beobachtung, dass Mütter mit höherer Ausbildung weniger Vollzeit arbeiten als Mütter mit geringerer Ausbildung entspricht der These von Frau Funiciello. Die Beobachtung, dass Mütter mit geringerer Ausbildung häufiger zu Hause bleiben als Mütter mit höherer Ausbildung widerspricht dieser These. Dieses Resultat ist wohl am ehesten über die getätigten Humankapitalinvestitionen gut ausgebildeter Frauen, deren egalitäreren Rollenauffassungen aber auch die höhere intrinsische Erfüllung durch die Art der Tätigkeit, die diese Frauen ausführen, zu erklären.

Funiciellos Kritik: Wenn sich Frauen auf die Seite des Patriarchats stellen, dann ist ihnen dessen Applaus sicher. Diese Frauen werden als stark wahrgenommen, nicht als Opfer. Sie erlangen dadurch mediale Aufmerksamkeit.

In diesem Fall ist es doch umgekehrt. (1) Zum ersten hatte auch Frau Funiciello willkommene mediale Aufmerksamkeit und hat diese – was ihr gutes Recht ist – zur Darstellung ihrer politischen Ziele und Ansichten genutzt. (2) Zum zweiten sind wir in diesem Fall die „Opfer“ des Shitstorms und nicht Frau Funiciello. Insofern würde ich unsere Position nicht als stark bezeichnen. (3) Zum dritten würde ich für eine handlungstheoretische Sichtweise auf die Reproduktion von Macht- und Statusstrukturen in Gesellschaften plädieren anstelle der Verwendung eines undifferenzierten Patriarchatsbegriffes. In einem solchen Begriffsverständnis geht es sowohl um die Beiträge von Frauen und Männern zur Reproduktion bestehender Geschlechterverhältnisse, aber auch die Voraussetzungen unter denen Frauen und Männer ihre Zustimmung zu solchen Strukturen verweigern oder entziehen. Macht- und Statusstrukturen entstehen zudem nicht im luftleeren Raum, sondern sind rückgekoppelt an technologische Veränderungen, die Art des Wohlfahrtsstaates, die Art der (kapitalistischen) Wirtschaftsweise sowie pfadabhängige, persistente soziale Normen. In einer solchen Sichtweise gibt es sehr unterschiedliche Akteursgruppen und Handlungskontexte, die in einer Analyse berücksichtigt werden müssen. Die simplifizierte Aufteilung der Gruppe der Frauen in solche Frauen, die scheinbar unreflektiert bestehende Macht- und Statusstrukturen unterstützen („Täterinnen“) und solche, die sich dagegen reflektiert auflehnen („Kämpferinnen“), ist unzulässig. Die gesellschaftliche Realität gestaltet sich etwas komplizierter. Bei derartigen Analysen sollte auch nie die Perspektive der Männer vergessen werden. Eine zunehmende Anzahl stimmt privat nicht mehr den traditionellen, normativen Vorstellungen eines „guten“ Mannes zu. Diesen Männern stellt die Gesellschaft aber nach wie vor grosse Barrieren in Form von Identitätskosten in den Weg (ich würde sogar die These wagen, dass diese Kosten noch höher sind als für die berufstätigen Frauen). Sie müssen sich im Familien-, Freundeskreis und Nachbarschaft rechtfertigen. Deswegen engagiert sich beispielsweise der Kreis www.männer.ch für einen normativen Wandel des Männerbildes in heutigen Gesellschaften.

Funiciellos Kritik: Hätte die Studie ergeben, dass es mehr Strukturen und mehr Frauen in Führungspositionen bräuchte, wäre wohl die Medienaufmerksamkeit geringer gewesen.

Hier liegt ein Missverständnis vor: Die Studie wurde in Auftrag gegeben, um die Anzahl an Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Es sollten die Ursachen für die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen ergründet werden, damit zielgerichtete Massnahmen möglich sind. Obwohl es bereits tausende Studien zu diesem Thema gibt, sind die Ursachen bislang nicht so klar.

Aber der positive Punkt am Ende: Frau Funiciello und wir sind uns einig, dass es mehr Frauen in Führungspositionen braucht und dass wir hierfür neue Strukturen benötigen. Nur unsere Analyse der zu Grunde liegenden Ursachen und der hieraus resultierenden Massnahmen unterscheiden sich.