Navigation auf uzh.ch

Suche

Soziologisches Institut Prof. Dr. Katja Rost

Liebe Autorinnen des etü

Illustration: Michèle Bischoff

Ich musste sehr über Ihre Karikatur lachen. Gelungen! Gern werde ich diese in meiner Vorlesung über «Zeitgeist: Moden, soziale Bewegungen, Totalität» verwenden.

Zudem möchte ich Ihnen zu Ihrem Mut gratulieren. Weil sie von Rollenvorstellungen frei zu sein scheinen, steht Ihrem beruflichen Fortkommen nichts im Wege. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die mehr Probleme bekunden, sich zu exponieren. Aber Sie brauchen weder Losverfahren noch Quoten; vorausgesetzt Sie wollen.

Auch bestätigen Sie mit Ihrer Reaktion  die Interpretation unsere Daten (siehe insbesondere The Rise of Victimhood Culture(Achtung: von Soziologen); sowie Diskussionsteil in unserem Papier (PDF, 3 MB)), für welche wir bislang leider nur Korrelationen hatten, aber keinen kausalen Test. Nun liegt sogar ein natürliches Feldexperiment vor, welches wir sehr gern in unsere Untersuchung einarbeiten werden.

Nun aber meine sachliche Kritik zu denen von Ihnen hervorgebrachten Argumenten:

Ihr überdurchschnittliches Engagement zur Recherche Ihres Beitrags zeugt von hohen Kosten, die für Ihre Gruppe entstanden sind.

In der Tat bestätigen Sie damit zunächst meine Forschung zur Entstehung von Shitstorms: eine latente Interessensgruppe (das sind soziale Gruppen mit sehr homogenen Einstellungen und Motiven, die sich vom Rest der Bevölkerung abheben) sieht in Folge bestimmter externer Handlungen (z.B. Sonntagszeitung) die sozialen Normen ihrer Gruppe (z.B. positive Diskriminierung) bedroht. Aus dieser Bedrohung folgt Übereifer: mittels moralisierender Aussagen zum externen Vorfall (z.B. Abwertung von Personen) kombiniert mit aggressiven Äusserungen und Forderungen (z.B. die nachfolgenden Punkte) versucht diese Gruppe ihre Gruppennormen aufrechtzuerhalten. Das ist ein absolut legitimes und rationales Vorgehen.

Allerdings besteht manchmal das Problem darin, dass die Gruppennormen der latenten Interessensgruppe nicht mit den Normen der Gesamtgesellschaft übereinstimmen bzw. deren Normen sogar zuwiderlaufen (z.B. negative Diskriminierung). Dies blendet die latente Interessensgruppe natürlich aus; u.a. weil der Austausch mit anderen sozialen Gruppen in der Gesellschaft fehlt (verstärkt durch soziale Medien, Interessensvereine, Freundeskreis etc.).

Zudem beobachten wir in Gesellschaften bei ideologisch, emotional aufgeladenen Themen eine einseitige Verstärkung in Legitimationsdiskursen. Dies geschieht wie folgt: eine laute Minderheit dominiert den Diskurs, gestützt durch diverse Programme und Vorhaben (z.B. Programme, die positive Diskriminierung rechtfertigen). Diese Programme werden nicht fortlaufend hinterfragt, sondern entwickeln sich in Folge von Imitation bürokratisch in den Organisationen weiter, werden als modern empfunden und können dort gedeihen (siehe hierzu die neo-institutionalistische Literatur zu Managementmoden,  insbesondere zur zeitgleichen Verbreitung bestimmter Programme in Organisationen). Organisationen unterstützen diese Imitation, u.a. weil dies ihre Legitimation nach aussen und damit deren Überlebensfähigkeit erhöht und zudem innerhalb der Organisation nicht als Bedrohung angesehen wird. Eine schweigende Mehrheit enthält sich diesem Diskurs, u.a. weil es am Anfang niemanden interessiert und am Ende, weil man hohe Sanktionskosten befürchtet (kann ich bestätigen). Die Meinungen dieser Mehrheit bleiben deswegen privater Natur und keiner weiss, wie viele andere in der Bevölkerung die gleiche Meinung teilen.

Dass es sich bei Ihren Interessen um die homogenen Interessen einer kleinen Gruppe handelt, die nicht von der Mehrheit der Bevölkerung – auch nicht von allen Gleichaltrigen - getragen wird, zeigen verschiedene jüngste Untersuchungen zum Thema, nachdem unser Beitrag erschienen ist (z.B. Tagesanzeiger: Eine Mehrheit in der Schweiz lehnt Frauenförderung ab. Vor allem junge Männer – aber auch viele Frauen.(wir finden diese übrigens trotzdem wichtig; aber in den Institutionen so durch Teilzeitkarrieremodelle etc.); vergleiche hierzu auch die restlichen  Kommentare, die auf der Seite zur Leaky Pipline zitiert sind).

Ich möchte nicht auf alle Punkte Ihrer Kritik eingehen, da ich dies bereits in den anderen Blog-Artikeln getan habe. Die Kritik ist in dieser Hinsicht recht ähnlich, was in Folge der Homogenität Ihrer Gruppe nicht erstaunt. Somit gehe ich nur auf einzelne Punkte ein:

Auch bei Ihrer Kritik ist auffällig, dass Sie auf die von uns getesteten Hypothesen und die Organisationsdaten zur Leaky Pipline, welche die Token-Hypothese klar verwerfen, gar nicht eingehen. Warum? Steht sogar in der Sonntagszeitung. Auch diskutieren Sie nicht die Hypothesen, welche mit der zusätzlichen Befragung getestet werden sollen. Auch das schafft die Sonntagszeitung. Stattdessen fokussieren sie auf zwei Fragebatterien von circa 100 Fragen. Und diese sind sogar wissenschaftlich im Peer-Review validiert. Zudem hat es forschungspragmatische Gründe, warum wir Geschlechterstereotypen nur für das jeweilige Geschlecht abfragen und nicht auch umgekehrt. Das war keine Hypothese, die wir testen wollten. Insofern haben wir den Befragten die Mühe erspart und den Rücklauf erhöht.

Zudem sind auch sie nicht in der Lage, Regressionsresultate und marginalen Plots zu lesen. Sie orientieren sich an den zusätzlich zur Verfügung gestellten Balkendiagrammen. In den Regressionen berücksichtigen wir die Fächer mit dem korrekten Frauenanteil als metrische Variable; diese Resultate sind somit auch nicht «fingiert» (was die anderen Resultate auch nicht sind, da wir keinen Medianspilt vornehmen; aber das ist nebensächlich). Dies war gerade die anspruchsvolle Übung unserer Arbeit: für jedes der 180 Studienfächer haben wir den korrekten Frauenanteil über die letzten 15 Jahre erhoben; und zwar auf allen Stufen.

Auch bei Ihren anderen Kommentaren fällt auf, dass sie nur Sekundärquellen verwenden und nie einen Blick in die Originalquelle geworfen haben. So attestieren sie, dass das Arbeitsumfeld an den Universitäten diskriminierend, toxisch und familienunfreundlich ist. Genau diese Punkte greifen wir als zu beantwortende Fragestellung in unserer Untersuchung auf und versuchen eine ergebnisoffene Antwort. Wir zitieren aber mehr Quellen - und nicht nur eine wie in Ihrem Beitrag.

Zudem bemängeln Sie an meiner Vorlesung zu den Ursachen für die Wettbewerbsaversion von Frauen, dass ich neben den sozialen Normen (auf die ich im Detail eingehe) auch die Biologie erwähne (auf die ich nicht im Detail eingehe, weil ich mich in Anthropologie nicht auskenne). Nun hierfür gibt es einen simplen Grund: als Wissenschaftler*innen sind wir – so gut wir das können - der Wahrheit verpflichtet. Und natürlich kann ich nicht ausschliessen, dass es auch biologische – und nicht nur soziale – Ursachen gibt. Das ist das Einzige, was ich mit dieser Folie betone. Und ich gebe ein simples evolutionäres Argument, welches u.a. in der evolutionären Soziologie und angrenzenden Disziplinen vertreten wird (nicht von mir; dazu habe ich nicht geforscht). Die Autorinnen wird dann auch ärgern, dass an Universitäten in jüngster Zeit Lehrstühle entstehen, welche die Gender Studies mit der Anthropologie vereinen, um mehr über das Zusammenspiel sozialer und biologischer Ursachen herauszufinden. Und es stimmt: mich ärgern Antworten, die von vornherein das Weltbild einengen. Zunächst sollten wir offen für verschiedene Argumente sein; danach kann man sich immer noch einengen. In der Soziologie hat man eine Zeitlang biologische Argumente komplett verbannt. Heute ist man wieder offener und erkennt zum Beispiel, dass Soziologie und Biologie in engem Zusammenhang stehen, so beim sozioökonomischen Status und der Gesundheit.

Weiterhin werfen Sie mir positivistische Forschung vor. In der Tat ist das Soziologische Institut in Zürich theoretisch/empirisch orientiert. Wir orientieren uns aber sowohl an quantitativen als auch qualitativen Methoden. Auch meine Forschung ist keinesfalls nur quantitativer Natur, sondern in vielen Fällen auch qualitativer Natur (z.B. führen wir im Vorfeld meist Interviews durch oder machen zusätzlich ethnologische Beobachtungen und Einzelfallstudien). Und wir gehen stets von Theorien aus. Somit verstehe ich Ihren Punkt nicht.

Auch kommen Sie zum Befund, dass an der Universität Zürich Frauen diskriminiert werden (passt zu The Rise of Victimhood Culture). Allerdings vermischen Sie sexuelle Diskriminierung (zu der sie viele Beispiele geben) mit Diskriminierung bzgl. der Leistungen und Fortkommens-Chancen von Studierenden.

  • Erstens  messen wir Diskriminierung bzgl. der Leistungen und Fortkommens-Chancen von Studierenden; das ist für die Leaky Pipline relevant. Sexuelle Diskriminierung mag vorkommen; allerdings bezweifle ich, dass die sexuelle Diskriminierung in den "Frauenfächern" (dort brechen die Frauen in unseren Strukturdaten (nicht den Befragungsdaten!) weg) systematisch sehr viel höher ist als die sexuelle Diskriminierung in den "Männerfächern" (da brechen die Frauen nicht oder weitaus weniger weg). Dies würde bedeuten, dass (a) die vielen Professorinnen in "Frauenfächern" wegschauen (es sind natürlich trotzdem prozentual viel mehr Frauen als in "Männerfächern"), wenn Studierende sexuell diskriminiert werden, (b) Männer, die sexuell diskriminieren, sich vor allem in "Frauenfächer" selektionieren, (c) Frauen sich – obwohl sie vermehrt die Wahl zwischen einer Frau und einem Mann als Vorgesetzten haben – den Männern zu selektionieren. Das halte ich für unwahrscheinlich. Aber wir haben es nicht geprüft. Hierfür bräuchte es auch andere Daten, welche wir nicht erhoben haben.
  • Zweitens gibt es an der UZH eine Anlaufstelle, die potenzielle Fälle sexueller Diskriminierung kompetent verfolgt. Zudem sei mir noch eine Anmerkung erlaubt: wenn eine Gesellschaft übernormiert ist, gehen Freiheit, Entfaltung und Freude des/der Einzelnen verloren. Diesbezüglich sind wir auf einem guten Weg. Es ist doch schon interessant, dass die sexuelle Diskriminierung der Frauen hierzulande  und insbesondere seit #MeToo immer stärker zunimmt, obwohl immer mehr Männer, insbesondere solche in Vorgesetztenfunktion, die Frauen im Arbeitsumfeld immer distanzierter und höflicher behandeln bzw. aus Angst manchmal sogar meiden. Sofern die sexuelle Diskriminierung in der Tat stetig weiter zunimmt, wäre der beste Weg eine Rückkehr zu gleichgeschlechtlichen Schulen und Universitäten, wie dies früher lange der Fall war (siehe zur Illustration den Film Die Feuerzangenbowle). Die Frauen werden von Frauen unterrichtet. Die Männer von Männern. Der Vorteil solcher Modelle: Geschlechterstereotype gehen interessanter Weise zurück. Der Nachteil solcher Modelle: die horrizontale Seggregation auf Bildungs- und Arbeitsmärkten steigt (in Folge der unterschiedlichen Wünsche und Bedürfnisse). Und damit sinken auch die Karriereperspektiven von Frauen und die Lohnungleichheit zwischen Mann und Frau steigt. Zudem sinken die Wahlmöglichkeiten der Frauen und Männer, welche einen nicht-stereotypen Studien- und Berufswunsch haben.

Zur Frage, wer die Studie initiiert und finanziert hat: die Universitätsleitung, um zu verstehen, warum die Frauen auf Professuren untervertreten sind. Es geht aber nicht – und das scheinen sie missverstanden zu haben - um eine Studie zur positiven Diskriminierung, sondern um eine Studie zu Diskriminierung und Gleichstellung. Zur Finanzierung: ich habe das unentgeltlich gemacht und Margit Osterloh auch. Als Forscherin hätte ich mir dieses Thema nie gewählt. Ich kann es oft nicht mehr hören – so wie viele andere Frauen auch.

Zudem ist interessant, dass aus dem Master-Forschungsseminar für Soziologie keine Wutschreie kamen. Die drei Männer und acht Frauen hätten sich gleich bei der Vorstellung unserer Hypothesen beschweren können (es gab noch keine Befragungsdaten, sondern zunächst nur die Strukturdaten; erstere haben wir gemeinsam erhoben). Warum hätten sich diese Studierenden beschweren können? Nun die Männer deswegen, weil wir uns erlaubt haben zu testen, ob Männer in «Frauenfächern» bevorzugt werden. Zwei dieser drei Männer streben nämlich eine akademische Karriere im "Frauenfach" Soziologie an. Die Frauen deswegen, weil wir uns erlaubt haben zu testen, dass diese familienorientierter sind als Frauen in «Männerfächern». Interessanter Weise waren alle Studierenden sehr ergebnisoffen. So etwas gibt es an den Universitäten auch noch. Und das ist schön. Also: Lassen sie doch bitte die Frauen und Männer, die Ihre Einstellungen nicht teilen, so wie diese sind.

Auch bin ich nach den Diskussionen der letzten Wochen etwas abgeklärter und muss eine unsere Massnahmenempfehlungen selbstkritisch hinterfragen (auch das ist Forschung): wir schlagen neben institutionellen Massnahmen auch Massnahmen vor, die über Geschlechter-Rollenmodelle im Studium aufklären. Ich habe das ungute Gefühl, dass gerade diese Kurse den Geschlechterkonflikt nähren statt beizulegen. U.a. weil die Sensibilisierung steigt - und damit der Konflikt. Hier wären vor Einführung Interventionsstudien wesentlich, die dies testen. Sofern solche Studien mit diesem Vorwissen von Ethikkommissionen überhaupt noch befürwortet werden. In jedem Fall sollten wir dringend von der einseitigen Fokussierung auf Frauen wegkommen und auch Männer und deren Probleme berücksichtigen.

Zuletzt zur Gleichstellungskommission: Das wollte vorher schon niemand machen (siehe meine Anmerkungen zum Neoninstitutionalismus und zur Verbreitung bestimmer Praktiken in Organisationen). Ich wage die Hypothese, dass nun die Bereitschaft der Frauen und Männer, welche sich in Folge ihrer Leistungen durchgesetzt  haben, nicht gerade gestiegen ist.

Langsam macht mir diese Diskussion fast ein wenig Freude: das ist Soziologie von der Makro-Meso-Mikro-Ebene und zurück im Live-Experiment. Schön, dass ich zu so vielen Themen, die berührt werden, bereits geforscht habe.

Und hier nochmals einige Ergänzungen zum Titel der Sonntagszeitung:

Wie sie in der nachfolgenden Abbildung sehen, besitzt in den Partnerschaften der Studierenden der Mann bereits höhere Aufstiegs- und Karrierechancen als die Frau. An sich ein No-Brainer. Frauen sind eben nach wie vor mit Männern liiert, die meist etwas älter sind. Aber irgendwie auch überraschend, wenn man bedenkt, dass Buben in den Schulen mittlerweile oft viel schlechter abschneiden. Das zeigen auch die Resultate unserer Untersuchung bezüglich der Maturanoten.

Allein am Alter können die vorangegangenen Ergebnisse aber nicht liegen, wenn Sie diese mit der nachfolgenden Grafik vergleichen. So liegt das Einkommen der Männer zwar auch bei den Studierenden etwas höher als das der Frauen (was u.a. daran liegt, dass einige der Männer bereits keine Studenten mehr sind, sondern bereits arbeiten). Aber der Unterschied zu den höheren Karriere- und Aufstiegschancen der Männer ist offensichtlich.

Selbstverständlich sind diese Unterschiede noch nicht riesig; aber sie sind bereits vorhanden. Das entspricht auch der Forschung zu kinderlosen Personen. Allerdings kehren sich dies kleinen Anfangsunterschiede in grosse Unterschiede ab Geburt des ersten Kindes. Hier einige Grafiken zu 556 Hochqualifizierten-Paaren in Zürich (70% haben einen Studienabschluss). Sie können sich anhand dieser Grafiken selbst einen Eindruck machen, was nach der Geburt des ersten Kindes passiert. Sie sehen in den Grafiken übrigens auch, dass Frauen, die ihre Karriere auch nach Geburt des Kindes weiterverfolgen, bei weitem nicht so stark abfallen wie die restlichen Frauen. Trotzdem könnte man diese Frauen mehr unterstützen - so unsere Meinung (die Abbildungen zur Aufteilung der Hausarbeit finden sie hier)